Amtsgericht Wittlich, Urteil vom 28.03.2018 – 36b OWi 8141 Js 12602/17, rechtskräftig
Gegen unsere Mandantin erging ein Bußgeldbescheid wegen Geschwindigkeitsüberschreitung: 480 Euro und ein Monat Fahrverbot wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 53 km/h auf einer Autobahn. Um die Richtigkeit des Messergebnisses zu überprüfen, wurde ein technisches Gutachten in Auftrag gegeben. Die notwendigen Daten und Unterlagen des Messgeräts wollte allerdings weder das Polizeipräsidium noch das Amtsgericht Wittlich herausrücken – erst das Landgericht Trier gab uns bei dem Antrag auf vollständige Akteneinsicht Recht. Aus den dann vorgelegten Unterlagen ergab sich allerdings, dass das Messgerät durchaus richtig gearbeitet hat. Das (hohe) Messergebnis war also korrekt.
Ein weiterer Angriffspunkt ergab sich aus den Maßnahmen der Bußgeldstelle, die Mandantin als Fahrzeugführerin zu ermitteln. Nachdem bekannt wurde, dass sie im Haushalt des Fahrzeughalters lebt, wurden durch die Behörde unter anderem mehrere Fotos aus ihrem Facebook-Profil entnommen und außerdem ein Personalausweisfoto von der Meldebehörde angefordert. Anschließend wurden die Fotos mit der Person auf dem Messfoto verglichen. Dies wurde beim Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Rheinland-Pfalz gerügt. Mit Erfolg: Die „Durchsuchung“ des (öffentlichen) Facebook-Profils sei zwar durch die Strafprozessordnung gedeckt, es hätten aber nicht mehrfach Fotos beigezogen werden dürfen, da eines genügt hätte. Hierzu teilte der Datenschutzbeauftragte in einem Schreiben mit:
Aus datenschutzrechtlicher Sicht bedenklich ist die Ermittlungstätigkeit der Zentralen Bußgeldstelle Speyer bezüglich Ihrer Mandantin und Fahrzeugführerin (…) zu beurteilen. Die Ermittlung der Betroffenen auf dem Meldeportal (…) ist dabei für sich genommen zulässig. Diesbezüglich möchte ich auf meine Ausführungen zu Ziff. 2 verweisen. Datenschutzrechtlich bedenklich ist dagegen, dass zur Identifizierung Ihrer Mandantin mehrere Identifizierungsmaßnahmen, die mit Lichtbildabgleichen erfolgten, unternommen wurden.
Gegen die Ermittlung durch die Polizeibehörden in dem sozialen Netzwerk Facebook ist dem Grunde nach nichts einzuwenden. Grundsätzlich wurde höchstrichterlich entschieden, dass die Erhebung allgemein zugänglicher Inhalte im Internet durch Behörden keinen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellen muss (BVerfG, 27.02.2008 – 1 BvR 370/07 und 1 BvR 595/07). Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann allerdings dann gegeben sein, wenn Informationen, die durch die Sichtung allgemein zugänglicher Inhalte gewonnen wurden, gezielt zusammengetragen, gespeichert und gegebenenfalls unter Hinzuziehung weiterer Daten ausgewertet werden und sich daraus eine besondere Gefahrenlage für die Persönlichkeit des Betroffenen ergibt (BVerfG, ebd.).
Der Eingriff ist nicht schädlich, solange eine Ermächtigungsgrundlage ihn rechtfertigt und deren Voraussetzungen vorliegen. In dem vorliegenden Fall deckt die Ermittlungsbefugnis der Zentralen Bußgeldstelle Speyer gem. §§ 161, 163 StPO i.V.m. § 46 Abs. 2 OWiG die Recherche nach Ihrer Mandantin. Dann hätte sie jedoch trotzdem zunächst angehört werden müssen.
Dass im Folgenden trotz der bereits erfolgten Identifizierung und damit abgeschlossenen Identitätsermittlung weitere mit Lichtbildabgleichen vorgenommene Ermittlungstätigkeiten unternommen wurden, entspricht nicht dem datenschutzrechtlichen Erforderlichkeitsgrundsatz und dem Prinzip der Datensparsamkeit. Diese Bedenken werde ich der Zentralen Bußgeldstelle mitteilen. Man hätte sich in diesem Zusammenhang auf eine Ermittlungsmaßnahme beschränken müssen. Dass ich dabei den Abgleich mit dem amtlichen Lichtbild (im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben) gegenüber Ermittlungen auf Facebook als ein geeigneteres Mittel zur Identitätsfeststellung erachte, werde ich dabei ebenfalls anbringen.
Das zuständige Amtsgericht sah aus diesen Gründen ebenfalls einen Datenschutzverstoß als gegeben an. Dies führe aber nach seiner Rechtsprechung – anders als es beispielsweise das Amtsgericht Landstuhl entschieden hatte – nicht dazu, dass das Verfahren eingestellt werden müsste. Einen vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoß verneinte jedoch das Amtsgericht, denn die Mandantin hatte das entsprechende Schild schlicht übersehen. Dies sei als Fahrlässigkeit zu bewerten, weshalb die Regelgeldbuße für den Verstoß nicht 480, sondern nur 240 Euro betrage. Auf Grund der schlechten finanziellen Situation der Mandantin (Studentin) konnte die weitere Verringerung der Geldbuße auf 160 Euro erreicht werden, was auch das Hauptziel war. Schließlich ließ das Gericht auf Grund des Datenschutzverstoßes wie auch des Zeitablaufs (Tattag: 11.12.2016, Verhandlung am 28.03.2018) das nach dem Bußgeldkatalog vorgesehene Fahrverbot entfallen.
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