Amtsgericht Bernkastel-Kues, Urteil vom 05.06.2018 – 8 OWi 8142 Js 11926/17
Ein weiterer Fall zeigt, wie wichtig bei Geschwindigkeitsmessungen und den folgenden Bußgeldverfahren eine vollständige Akteneinsicht für den Rechtsanwalt ist. Bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem Gerät PoliScan Speed betrifft dies auch die Einsicht in die vom Gerät angelegte Messstatistik (Statistikdatei und Case-List), da anhand dieser Daten verschiedene Störungen einer Geschwindigkeitsmessung nachgewiesen werden können, sowie die Reparatur- bzw. Wartungsunterlagen des Messgeräts (umgangssprachlich auch als „Lebensakte“ bezeichnet).
In einem unserer Bußgeldverfahren – der Mandant sollte wegen des Vorwurfs der Geschwindigkeitsüberschreitung um 27 km/h 80 Euro bezahlen, einen Punkt erhalten und bei einem weiteren Verstoß innerhalb eines Jahres hätte dann ein Fahrverbot drohen können – hatte das Amtsgericht Bernkastel-Kues auf unseren Antrag hin zunächst entschieden, dass die die Messung durchführende Polizeibehörde die Statistik herausgeben muss. Dennoch musste die Behörde mehrfach aufgefordert bzw. erinnert werden, bis sie schließlich die Daten an die Kanzlei übersandte.
Die übersandte CD-ROM enthielt allerdings nicht eine, sondern gleich acht Statistikdateien sowie acht Case-Lists. Das von uns beauftragte Sachverständigenbüro ging daher davon aus, dass der insgesamt fünfstündige Messbetrieb mehrfach unterbrochen gewesen sein muss, da ansonsten nicht mehrere Statistiken gespeichert worden wären. Der Grund hierfür ergibt sich aus der Akte oder den Statistiken selbst nicht, so dass vor einer Befragung des Messbeamten in der Verhandlung nur spekuliert werden konnte: Womöglich war die Stromversorgung unterbrochen – in einem Parallelverfahren lautete die Erklärung für ein ähnliches Phänomen, dass der verwendete Akku für einen Dauerbetrieb angeblich zu schwach sei – oder das Gerät selbst arbeitete nicht mehr richtig und musste neu gestartet werden.
Der erste Messbetrieb dauerte sieben Minuten. Zweieinhalb Minuten später begann der nächste und dauerte immerhin anderthalb Stunden bis zur nächsten Unterbrechung. Danach dauerte es nur knapp eine Minute und dann sogar nur 20 Sekunden zwischen erneuten Beginn und Ende eines Messbetriebs. Und ähnlich ging es weiter. Seltsam war zudem, dass diese Unterbrechungen nicht im Messprotokoll, welches der Messbeamte zu jedem Messeinsatz anfertigen muss, erwähnt waren.
Eine Erklärung dieses Phänomens erfolgte in dem Bußgeldverfahren aber (leider?) nicht mehr. Noch bevor die Problematik in der Verhandlung detailliert (auch mit dem Messbeamten) besprochen werden konnte, erklärte sich das Gericht bereit, die Geldbuße auf 55 Euro zu reduzieren und einen erhöhten Toleranzabzug vom Messwert vorzunehmen, so dass nur noch eine Überschreitung um 20 km/h angenommen wurde. Der Grund hierfür war auch, dass die Polizeibehörde trotz mehrfacher Aufforderung unsererseits keine Reparatur- bzw. Wartungsnachweise für das Messgerät vorgelegt hatte, so dass nicht nachvollzogen werden konnte, ob an dem Gerät zu einem bestimmten Zeitpunkt bereits Reparaturen wegen eines Defekts vorgenommen werden mussten. Weitere Erörterungen zu der Messstatistik waren nun nicht mehr notwendig, da allein die niedrigere Geldbuße das Ziel des Mandanten war. Aus der geringeren Geldbuße folgt nämlich, dass der Mandant keinen Punkt in Flensburg erhält.
Da das Urteil zudem nur noch auf eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 20 km/h lautet, würde bei einem weiteren Verstoß mit (Überschreitung um 26 km/h und höher) in der Zukunft (ein Jahr ab Rechtskraft des Urteils) nicht automatisch ein Fahrverbot verhängt werden, wie es der Fall gewesen wäre, wenn das Amtsgericht von 27 km/h ausgegangen wäre.