Neues aus dem Saarland zu Rohmessdaten und PoliScan

Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes hatte in den Jahren 2018 und 2019 zwei deutschlandweit bekannt gewordenene – teilweise auch heftig kritisierte – Entscheidungen zu (Geschwindigkeits-)Messverfahren im Straßenverkehr getroffen. In dem Beschluss aus dem Jahr 2018 führte er aus, dass ein Betroffener bzw. sein Anwalt nicht nur die Messdaten zur Verfügung gestellt werden müssen, um die Messung prüfen zu können, sondern bei verschlüsselten Messdaten ihm auch ermöglicht werden muss, diese mittels Token-Datei zu entschlüsseln. 2019 erging ein Urteil, wonach digitale Geschwindigkeitsmessgeräte die (Roh-)Messdaten eines Messvorgangs nicht einfach löschen dürfen.

Nach dem letzten Urteil wurden im Saarland vorübergehend zahlreiche Messanlagen stillgelegt, da eine vollständige Speicherung von Rohmessdaten bei sehr vielen Messgeräten nicht vorgenommen wurde und diese Messungen daher nicht ausreichend überprüft werden konnten. Einige Wochen später wurde ein Teil der Anlagen überraschend wieder in Betrieb genommen; wohl auch, weil es  nicht viele andere Gerätetypen im Saarland gab und eine ausreichende Verkehrsüberwachung sonst nicht möglich gewesen wäre. Das Amtsgericht St. Ingbert akzeptierte diese Messungen; in der Regel mit dem eher formalen Argument, dass das Urteil des Verfassungsgerichtshofs einen anderen Gerätetyp betroffen habe und deshalb für andere Modelle nicht von Bedeutung sei.

Etwa seit 2022 weigerte sich zudem die Bußgeldstelle wieder, die Token-Dateien von Messgeräten herauszugeben, so dass die wenigen noch gespeicherten, aber verschlüsselten  Messdaten ebenfalls nicht mehr überprüft werden konnten. Der Schlüssel müsse stattdessen gegen eine Gebühr in Höhe von 117,30 Euro beim Eichamt angefordert werden. Auch dies wurde vom Amtsgericht in ständiger Rechtsprechung bestätigt.

Nun liegen zwei Beschlüsse des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 14.03.2024 zu beiden Thematiken vor (Aktenzeichen 1 Ss (OWi) 7/24 und 1 Ss (OWi) 13/24). Den Beschlüssen kann zum einen entnommen werden, dass die Bußgeldstelle bzw. das Gericht Betroffenen und ihren Rechtsanwälten ermöglichen müssen, die verschlüsselten Messdaten zu entschlüsseln, um sie auswerten zu können. Rechtsanwälte seien nicht dazu gehalten, sich den Schlüssel gegen eine Gebühr bei einer anderen Behörde zu besorgen. Ähnlich hatte im vergangenen Jahr das Oberlandesgericht Karlsruhe argumentiert.

Auch in Bezug auf die nicht gespeicherten Rohmessdaten habe es sich das Amtsgericht zu einfach gemacht. Das Urteil des Verfassungsgerichtshofs aus 2019 gelte noch immer uneingeschränkt, so dass Geschwindigkeitsmessungen ohne gespeicherte Rohmessdaten grundsätzlich nicht verwertbar seien. Das Oberlandesgericht folgte unserer Argumentation, dass die im vergangenen Jahr bekannt gewordenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Thematik hieran nichts änderten. Eine Ausnahme gelte dann, wenn das verwendete Messverfahren auch ohne Rohmessdaten eine ausreichende Überprüfbarkeit bzw. Plausibilisierbarkeit der Messungen gewährleiste, denn dann könne sich ein Betroffener möglicherweise auch ohne Rohmessdaten ausreichend gegen die Messung zur Wehr setzen. Ob eine Messung ausreichend überprüfbar sei, müsse das Gericht in jedem Einzelfall prüfen.

Als Fazit ist festzuhalten, dass beide Entscheidungen die Rechte Betroffener in Bußgeldverfahren deutlich stärken. Eine endgültige Klärung der Rohdatenproblematik steht aber noch aus. Für geeignete Fällen in der Zukunft hielt es das Oberlandesgericht für möglich, dass es ein Verfahren dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe vorlegt. Dieser müsste dann entscheiden, ob und in welcher Weise die Möglichkeit bestehen muss, Geschwindigkeitsmessungen nachträglich zu überprüfen. Durch eine solche Entscheidung könnte dann wieder eine einheitliche Rechtsprechung in Deutschland gewährleistet werden.

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2 thoughts on “Neues aus dem Saarland zu Rohmessdaten und PoliScan”

  1. Danke, dass Sie uns über die aktuelle Situation im Saarland auf dem Laufenden halten.
    Wir gehn auch davon aus, dass das Urteil des saarländischen Verfassungsgerichtshofes weiterhin Bestand hat und dass die Messgerätehersteller gut daran täten, sich daran zu halten, anstatt der PTB zu folgen.

    Denn es kann im konkreten Fall kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Messwert nicht zu dem konkreten Fahrzeug passt, sondern von einem anderen Fahrzeug stammt, das parallel gefahren ist und der Betroffene in die Fotoposition von diesem Fahrzeug rein gefahren ist. Das ist jedenfalls unter bestimmten Bedingungen möglich, wie wir schon vor vielen Jahren nachgewiesen hatten, damals allerdings nur für niedrige Geschwindigkeiten. Ob diese Bedingungen bei der konkreten Messung vorlagen, kann im Nachhinein nur deshalb nicht geklärt werden, weil nicht sämtliche Daten, die zur Messwertbildung beigetragen hatten, noch vorhanden sind. Diese waren aber ursprünglich vorhanden, denn sonst hätte der Messwert gar nicht gebildet werden können.

    Es findet also eine Löschung von Daten statt, deren Kenntnis aber zwingend erforderlich ist, um eine Messung dem konkreten Fahrzeug zuordnen und auf Richtigkeit hinsichtlich der Messwertbildung prüfen zu können. Es gibt auch überhaupt keinen Grund dafür, dass diese Daten nach der Bildung des Messwertes gelöscht werden.

    Tatsächlich darf auch bezweifelt werden, dass die Daten tatsächlich gelöscht werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Daten nicht nur ursprünglich vorhanden waren, sondern den Messgeräteherstellern auch weiterhin zur Verfügung stehen, wenn diese es wünschen, denn sonst könnten diese ihre eigenen Messgeräte gar nicht prüfen und etwaige Fehler feststellen, wozu sie aber nach der EU-Richtlinie 765/2008 verpflichtet sein dürften. Es ist somit davon auszugehen, dass lediglich in der Datei, die für die Verfolgungsbehörden ausgegeben wird, die ursprünglichen Messdaten nicht mehr vorhanden sind.

    Tatsächlich dürfte dies allerdings für jede konkrete Messung irrelevant sein, weil diese eigentlich vorhandenen Daten im konkreten Fall nicht mehr vorhanden sein dürften, sofern die Messgeräte-Hersteller sich für die saarländische Polizei keine Sonderregeglung ausgedacht haben. Aber dann, wenn die Daten tatsächlich gelöscht worden sind, führt dies dazu, dass die konkrete einzelne Messung selbst nicht mehr nachvollziehbar ist.

    Anders als bei den alten Messmethoden, auf die sich die Entscheidung des BVerfG zum standardisierten Messverfahrens bezogen hatte, liegt bei den heute verwendeten Messgeräten eine wichtige Voraussetzung nicht vor. Die Messbedingungen beeinflussen nämlich entscheidend nicht nur die Messwertbildung, sondern auch die Messwertzuordnung, weil Foto-Position ungleich der Mess-Position ist. Ferner gibt es gar keine einheitliche Messposition, vielmehr wird der Messwert in jedem Einzelfall an unterschiedlichen Positionen gebildet. Dabei können andere Fahrzeuge die Bildung des Messwertes beeinflussen.

    Zwar dürfte auch de heute verwendeten Messverfahren unter gleichen Bedingungen auch zu gleichen Messergebnissen führen. Die Bedingungen sind aber nicht immer gleich und können das Messergebnis und vor allen Dingen die Messwert-Zuordnung beeinflussen. Ergo bedarf es Informationen nicht nur über das Endergebnis, sondern auch darüber, wie das Messergebnis zu Stande gekommen ist.

    Dass diese Informationen gelöscht werden, ist somit eine unzulässige Einschränkung der Rechte des Betroffenen. Der Betroffene hat nämlich ohne sämtliche Messwerte, die später zu seinem Messwert-Ergebnis geführt haben, keine Chance, das Ergebnis aus den vielen Einzelmessung nachzuvollziehen.

    Man muss somit den Gerichten klarmachen, dass das Vorhalten sämtlicher Einzelmessungen über die zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten eine staatliche Verpflichtung ist, weil es sich um ein Beweismittel handelt, welches vorhanden war und unzulässigerweise gelöscht wurde, obwohl es die zwingende Voraussetzung ist, dass der Beschuldigte überhaupt die Möglichkeit hat, das Messergebnis zu prüfen.

    Nur mittels der Einzelmesswerte, die defacto aus Winkelpositionen und Entfernungsmessungen sowie dem zeitlichen Verlauf dieser Werte bestehen, kann die gesamte Messsituation, also die Bedingungen, unter denen die Messung stattgefunden hat, nachvollzogen werden.

    Erst dann, wenn die Bedingungen der Messung bekannt sind, kann festgestellt werden, ob unter den konkreten Bedingungen auch gleiche Messwerte generiert werden.

    Wenn somit aber die Einzelmessungen (Winkelposition, Abstand und zeitlicher Verlauf) gelöscht werden, kann überhaupt nicht nachvollzogen werden, ob die Bedingungen vorlagen, dass auch wirklich die gleichen Messwerte unter gleichen Bedingungen erzeugt werden. Die Voraussetzungen für das standardisierte Messverfahren sind somit im Nachhinein nicht mehr prüfbar. Ein standardisiertes Messverfahren ist aber nur dann anzunehmen, wenn die Bedingungen, unter denen die Messung stattfand, auch bekannt sind, so dass dann geprüft werden kann, ob unter diesen Bedingungen auch wirklich gleiche Messwerte entstehen.

    Es ist offensichtlich, dass die PTB nicht alle unterschiedlichen Bedingungen hat prüfen können, unter denen eine Messung stattfinden kann. Dies ist aufgrund der Komplexität des Messverfahrens und der unendlich möglichen unterschiedlichen Bedingungen bei jeder Einzelmessungen auch gar nicht im Voraus möglich.

    Und genau daraus resultiert die Verpflichtung, dass der Staat diese Bedingungen, unter denen die Messung erfolgt ist, auch festhält. Das ist genau dasselbe wie bei den Blutalkohol-Untersuchungen. Dort wird nicht nur festgehalten, wie hoch der BAK-Wert war, sondern auch wann die Probe entnommen wurde und wann der Tatvorwurf war. Nur so ist es möglich, eine Rückrechnung durchzuführen, ob das Messergebnis auch tatsächlich auf den Zeitpunkt der Tat anwendbar ist. Niemand würde auf die Idee kommen, diese Daten im Nachhinein zu löschen.

    Es gibt auch aus technischer Sicht überhaupt keinen Grund, die Daten, die bei einer Geschwindigkeitsmessung zu einem konkreten Messergebnis geführt haben, zu löschen. Die Einzelmesswerte sind ursprünglich auf jeden Fall vorhanden gewesen, denn anders kann der Messwert nicht gebildet werden. Es widerspricht allen wissenschaftlichen Grundsätzen, die erhoben Einzelmesswerte, die zu einem Ergebnisses geführt haben, zu löschen.

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