Geschwindigkeitsmessungen werden in Deutschland zu einem großen Teil mit PoliScan-Messgeräten vorgenommen. Diese werden auf Dreibeinstativen, in Fahrzeugen, Messanhängern (Enforcement Trailer) oder in festinstallierten Säulen (welche außerdem rote Ampeln überwachen können) verwendet. Die erzeugten Messdaten, also Fotos, Messwerte und weitere Informationen, werden von den Geräten digital und in verschlüsselter Form gespeichert. Man braucht also nicht nur eine spezielle Software, um auf die Dateien zugreifen und sie auswerten zu können, sondern außerdem eine sogenannte Token-Datei und ein Passwort, wobei beides zu dem speziell verwendeten Gerät passen muss.
Das Problem dabei ist, dass viele Behörden zwar die Messdaten selbst an Verteidiger herausgeben, wenn diese die Messung von einem Sachverständigen überprüfen lassen wollen. Oft weigern Behörden sich aber, die Token-Datei und das Passwort herauszugeben. Stattdessen solle man beides beim zuständigen Eichamt gegen eine Gebühr von ca. 100 Euro anfordern. Verschiedene Gerichte haben diese fragwürdige Praxis bestätigt, andere halten sie für rechtswidrig. Bereits 2018 entschied der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes, dass die Polizei oder Bußgeldbehörde, welcher die Daten vorliegen, diese auch herausgeben muss und nicht auf andere Behörden oder die Möglichkeit des „Ankaufens“ bei der Eichbehörde verweisen darf. Seit dieser Zeit war es um die Thematik vergleichsweise ruhig, auch nachdem das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2020 die Möglichkeit einer Einsichtnahme in Geschwindigkeitsmessdaten grundsätzlich bestätigt hatte.
Nun liegt uns in einem unserer Bußgeldverfahren ein neuer Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe vor. In dem Verfahren war die Bußgeldbehörde der Meinung, zwar die (verschlüsselten) Messdaten herauszugeben, zu einer Herausgabe von Token-Datei und Passwort aber nicht befugt zu sein. Das Amtsgericht Bruchsal hat dies so hingenommen und die Mandantin verurteilt. Das Oberlandesgericht hat nun dieses Urteil aufgehoben und an das Amtsgericht Bruchsal zurückverwiesen. Denn das Amtsgericht habe die Mandantin in ihrem Recht auf ein faires Verfahren verletzt, denn diese hätte die Messdaten benötigt, um sich gegen den Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung verteidigen zu können. Deshalb müssten Behörden den Betroffenen auch die Möglichkeit zur Entschlüsselung der Messdaten geben und deshalb Token-Datei und Passwort herausgeben. Eine Verweisung Betroffener an die Eichbehörde sei unzumutbar, da mit Zeitaufwand und Kosten verbunden. Schließlich müssten die Token-Datei und das Passwort ohnehin bei der jeweiligen Behörde vorhanden sein, da diese andernfalls mangels Kenntnis der Messfotos überhaupt keine Bußgeldbescheid erlassen könnten.
Entscheidungen des Oberlandesgerichts Karlsruhe sind in Baden-Württemberg üblicherweise wegweisend für Behörden und Gerichte. Es ist daher davon auszugehen, dass Betroffene zukünftig leichter an Beweismittel der Verkehrsüberwachung gelangen können, um sich in ihren Verfahren zu verteidigen.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 22.08.2023 – 1 ORbs 34 Ss 468/23