Amtsgericht Völklingen, Beschluss vom 13.12.2017 – 10 OWi 34/17
In Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsverstößen macht es Sinn, dass der Rechtsanwalt außer der gewöhnlichen Verfahrensakte auch die Wartungs- und Reparaturnachweise (auch „Lebensakte“ genannt) des verwendeten Messgerätes (hier: Leivtec XV3) anfordert und prüft, ob Reparaturen am Gerät stattgefunden haben, was auf vorherige Defekte und damit Mesfehler hindeuten kann, und ob das Gerät nach einer Reparatur ordnungsgemäß neu geeicht wurde, was in der Regel erforderlich ist.
Aus der Gerätestammkarte, also einer Auflistung aller Reparaturen und Eichungen des Messgeräts, welche die Behörde im Juli 2016 übersandte, ergab sich in diesem Fall, dass das Gerät vom 05.06.2017 bis zum 09.06.2017 – obwohl das Jahr 2017 damals noch gar nicht begonnen hatte – repariert und neu geeicht wurde, da das „Sensor-PROM-Sichtfenster“ beschädigt und ins Gerät gefallen sei. Daher lag es nahe, dass die Polizei den 05.06.2016 gemeint hatte. Das hätte bedeutet, dass das Messgerät am Tag der Messung des Mandanten, gegebenenfalls sogar schon vor der Messung beschädigt worden ist, denn der 05.06.2016 war auch der Tattag. Sachverständige haben in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass ein Messgerät nach einem Sturz oder sonstiger Gewalteinwirkung nicht ungeprüft weiterbenutzt werden darf, weil es dann möglicherweise zu hohe Geschwindigkeitswerte anzeigt.
Auf diesen Umstand und den Inhalt der Gerätestammkarte wurde das Amtsgericht Völklingen in der Verhandlung vom 06.04.2017 hingewiesen. Die Messbeamtin war ebenfalls über das Reparaturdatum, welches noch immer in der Zukunft lag, verwundert. Sie meinte dazu, es sollte zunächst die Herkunft der Gerätestammkarte geprüft werden. Denn sie vermutete, dass es sich dabei um eine Fälschung handelt. Das Gericht setzte die Hauptverhandlung daraufhin aus.
Doch auch in einer anschließend von der Polizei übersandten aktuelleren Gerätestammkarte waren die Einträge zu der Reparatur, aber mit dem richtigen Datum (2016), enthalten. Zudem waren nun zwei weitere Reparaturen und Neueichungen notiert (27.07.2016 – 09.08.2016 wegen einer Fehlermeldung „Dateifehler Memory“ und vom 21.11.2016 – 12.12.2016). Von einer behaupteten Fälschung war keine Rede mehr. In einer schriftlichen Stellungnahme führte ein weiterer Messbeamter dann aus, dass er die Geschwindigkeitskontrolle am Tattag ordnungsgemäß durchgeführt habe und das Gerät unbeschädigt gewesen sei. Erst nach dem Abbau der Messung habe er aus Versehen auf das Sichtfenster gedrückt, welches daraufhin in das Messgerät gefallen sei.
Damit war die Vermutung, dass das Messgerät schon während der Messung beschädigt war, allerdings noch nicht widerlegt. Ein mit der Überprüfung der Messung beauftragter Sachverständiger der GFU Verkehrmesstechnik sah durch die Stellungnahme des Messbeamten gerade bestätigt, dass die Messung in beschädigtem Zustand durchgeführt wurde. Denn nach den für das Messgerät geltenden Anforderungen „PTB-A 18.11“ (Punkt 3.10.5) muss ein „Geschwindigkeitsüberwachungsgerät gut und solide gebaut sein“. Die verwendeten Werkstoffe müssen ausreichende Festigkeit und Stabilität gewährleisten. Daher könne ein versehentliches Drücken des Messbeamten gegen das Sichtfenster dieses nur dann aus seiner Verankerung lösen, wenn das Gerät bereits vorher – mutmaßlich durch einen Sturz – beschädigt war.
Diese Argumentation sah das Gericht als plausibel an und ging daher ebenfalls von einer Beschädigung bei der Messung aus. Einen weiteren Kritikpunkt an dem verwendeten Messgerät, nämlich dass dieses einen wesentlichen Teil der bei jeder Messung anfallenden Messdaten löscht, damit die Messung nicht nachträglich auf ihre Richtigkeit überprüft werden kann, konnte das Gericht wohl ebenfalls nachvollziehen, wollte sich aber nicht festlegen, ob dieser Umstand dazu führt, dass ein Betroffener freigesprochen werden muss, wie es das Amtsgericht St. Ingbert getan hat. Das Verfahren wurde stattdessen – ohne Folgen für den Mandenten, der 37 km/h zu schnell auf einer Autobahn gewesen sein soll – eingestellt.
Eine Geldbuße von 120 Euro zuzüglich Verfahrenskosten sowie ein Punkt in Flensburg sind ihm daher erspart geblieben.