Thüringen: Blitzerdaten unvollständig dokumentiert, Gerichte stellen Verfahren ein

In Bußgeldverfahren der Thüringer Polizei (Zentrale Bußgeldstelle in Artern) wegen Geschwindigkeitsüberschreitung ist uns in mehreren Verfahren eine Besonderheit aufgefallen, die schon mehrfach zur Einstellung der Verfahren geführt hat: Es wird schon vor Abschluss von Bußgeldverfahren immer ein Teil der Falldaten ("Messfotos") aus einer Messreihe gelöscht, so dass diese für eine Überprüfung der Messung nicht mehr zur Verfügung stehen.

Überprüfung ganzer Messreihen notwendig

Jedes Geschwindigkeitsmessgerät, ("Blitzer") ob mobil oder fest verbaut, erfasst während des Messbetriebes regelmäßig eine Vielzahl von Fahrzeugen. Von den Fahrzeugen, die als zu schnell erfasst werden, wird ein Messfoto angefertigt und zusammen mit bestimmten Messdaten digital als sog. Falldatensatz gespeichert. Die Gesamtheit der in einem Messbetrieb generierten Falldatensätze wird als Messreihe bezeichnet. Wenn nun ein Betroffener oder ein Gericht überprüfen lässt, ob eine einzelne Messung richtig war, benötigen Sachverständige aus technischen Gründen meist nicht nur den einzelnen Falldatensatz, sondern alle Falldatensätze der Messreihe.

Aus diesem Grund hat das Thüringer Oberlandesgericht bereits in 2021 entschieden, dass auch Rechtsanwälte ganze Messreihen bei der Polizei anfordern dürfen, um sie von einem Gutachter auswerten zu lassen.

Aus einem Schreiben der Thüringer Polizei: Ein Teil der Messreihe wurde bereits gelöscht.
Kein Einzelfall: Beschluss des Amtsgerichts Stadtroda

Polizei löscht einen Teil der Messungen

Dies ist in Thüringen allerdings in den meisten Fällen nicht möglich: Falldatensätze, die aus bestimmten Gründen nicht verwertbar sind, sowie Falldatensätze, bei denen die zugehörigen Verfahren abgeschlossen sind (etwa durch Akzeptieren der Verwarnung oder des Bußgeldbescheids), werden nach einer kurzen Frist gelöscht. Die Polizei begründet dies mit Datenschutzerwägungen. Dies hat zur Folge, dass in den meisten Verfahren, in denen Betroffene ihre Messung überprüfen lassen wollen, ein Viertel der Messreihe oder mehr bereits vernichtet sind. Wir hatten sogar schon Fälle, in denen die Daten des Mandanten gelöscht wurden, obwohl sein Verfahren noch gar nicht abgeschlossen war.

Dies wurde von gerichtlich beauftragten Sachverständigen schon des Öfteren beanstandet, ohne dass sich an der Behördenpraxis etwas geändert hätte, und ist nicht vom Messgerätetyp oder dem Ort der Messung abhängig. Von unserer Kanzlei wurde dies z. B. sowohl bei PoliScan- und PoliScan Speed- als auch TraffiStar S 330-Messungen beobachtet; auch andere eingesetzte Messsysteme dürften betroffen sein. Problematisch ist auch, dass die unverwertbaren Messungen gelöscht werden - denn gerade diese können unter Umständen Rückschlüsse auf Fehlfunktionen an dem Gerät zulassen.

Einsprüchen wird stattgegeben

Auch die für Einsprüche zuständigen Gerichte erkennen häufig die Problematik: Nach der genannten Entscheidung des Oberlandesgerichts sowie einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts gebietet das Recht auf ein faires Verfahren, dass umfassende Einsicht in die relevanten Beweismittel gewährt wird. Dies machen die zuständigen Behörden durch ihre Löschungspraxis aber unmöglich, obwohl sie hierzu auch aus Sicht des Datenschutzes keineswegs verpflichtet sind. Vielfach werden deshalb Verfahren - teils sogar bei schweren Verstößen mit Fahrverbot - eingestellt: Uns liegen insoweit Beschlüsse der Amtsgerichte Arnstadt, Gera, Heilbad Heiligenstadt und Stadtroda vor, die nicht mehr bereit waren, Betroffene bei dieser Sachlage zu verurteilen.

In vielen dieser Fälle musste die Staatskasse sogar die Anwaltskosten der Betroffenen übernehmen. Das Amtsgericht Suhl war immerhin bereit, bei einer nicht unerheblichen Überschreitung (28 km/h) die Geldbuße so zu reduzieren, dass die Punkteeintragung in Flensburg entfällt und im Wiederholungsfall auch voraussichtlich kein Fahrverbot festgesetzt wird. Eine (Grundsatz-)Entscheidung des Oberlandesgerichtes steht noch aus.

Fazit

Für Betroffene ergeben sich so gute Verteidigungschancen, selbst wenn die Messung technisch eigentlich in Ordnung war. Denn ob sie in Ordnung war, kann mangels relevanter Daten im Nachhinein nicht mehr nachgeprüft werden. Gleichwohl werden die zuständigen Stellen in Thüringen zu erwägen haben, ob sie bei ihren eigenen Verfahren weiterhin derartige Hindernisse selbst verursachen möchten. Eine ähnliche Situation gibt es bei Messgeräten, die softwarebedingt ihre Rohmessdaten nicht speichern. Hier besteht der Unterschied darin, dass die Daten vom Gerät gespeichert, dann aber von Beschäftigten der Behörde händisch und bewusst gelöscht werden.

Haben Sie einen Bußgeldbescheid erhalten?

Gerne helfen wir Ihnen bei Ihrem verkehrsrechtlichen Problem weiter. Oft können das Bußgeld, die Punkteeintragung oder ein Fahrverbot vermieden oder verringert werden.

Entstehende Kosten werden in der Regel von einer Verkehrs-Rechtsschutzversicherung übernommen.

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