Erst seit etwas über einem Jahr treten in der Praxis Fälle auf, in denen das relativ neue Messgerät VKS 4.5 zum Einsatz kommt. Dieses wird an einer Brücke bzw. einem Brückengeländer aufgebaut und auf die darunter liegende Straße (meist Autobahn) ausgerichtet. Anhand von Markierungen, die zuvor auf der Fahrbahn angebracht wurden, kann der Abstand zweier Fahrzeuge und auch deren Geschwindigkeit berechnet werden. Vor allem in Baden-Württemberg kommt der Gerätetyp nun häufiger vor (zuständige Bußgeldstelle ist meist das Regierungspräsidium Karlsruhe), aber auch andere Bundesländer verwenden ihn mehr und mehr. VKS 4.5 das (digitale) Nachfolgemodell des langjährig in ganz Deutschland verwendeten VKS 3.0.
Für den Mindestabstand geht der Bußgeldkatalog zunächst von dem halben Tachowert aus: Bei 100 km/h soll ein Abstand von 50 Metern eingehalten sein. Bußgelder sind vorgesehen, wenn von dem so bestimmten Mindestabstand wiederum weniger als die Hälfte eingehalten wird. Je geringer der tatsächliche Abstand und je höher die gefahrene Geschwindigkeit waren, desto höher wird das Bußgeld, die Anzahl der Punkte und die Dauer eines möglichen Fahrverbots.
Für die Verteidigung gegen einen Bußgeldbescheid ergeben sich bei Messungen mit VKS 4.5 oder auch VKS 3.0 einige Möglichkeiten:
- Zunächst – anders als etwa bei Geschwindigkeitsmessungen – genügt es nicht, aus einem einzelnen Bild einen momentan zu geringen Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug zugrundezulegen, um ein Bußgeld zu verhängen. Ein zu geringer Abstand hat seinen Grund oft darin, dass das vordere Fahrzeug unerwartet den Fahrstreifen wechselt und/oder verlangsamt; gerade auch dann, wenn der Fahrer die Kamera des Messsystems entdeckt. Von daher muss stets die gesamte Situation über mehrere Sekunden hinweg von einem „geschulten Auge“ betrachtet werden.
- Die Auswertung der Beweisvideos findet nicht vollautomatisch, sondern durch einen Auswerter statt. Dieser ist in der Regel hierfür zwar geschult, dennoch kann es durch den „Faktor Mensch“ zu Ungenauigkeiten zum Nachteil eines Betroffenen kommen. Nach Erfahrung von Sachverständigen kann es sogar, wenn dieselbe Auswerteperson dasselbe Video zweimal auswertet, noch zu relevanten Unterschieden im Ergebnis der Auswertung kommen.
- Außerdem werden bei der polizeilichen Auswertung in der Regel nur ein oder zwei Durchschnittswerte für den Abstand und die Geschwindigkeit berechnet, während ein Sachverständiger über die Messstrecke hinweg mittels fotogrammetrischer Auswertung viele Dutzend einzelne Werte berechnen kann, um das Fahrverhalten der beteiligten Fahrzeuge detailliert zu bestimmen. Hierdurch kann etwa nachgewiesen werden, wenn der „Vordermann“ langsamer wurde. Dies kommt häufig vor, ist bei einer bloßen Betrachtung des Videos aber oft kaum zu sehen. Auch kann auf diese Weise ermittelt werden, ob der Betroffene selbst langsamer wurde, um den notwendigen Abstand wiederherzustellen, was dann zu seinen Gunsten spricht.
Gegenüber dem bisherigen Messverfahren VKS 3.0 kommen bei VKS 4.5 noch einige weitere Verteidigungsmöglichkeiten hinzu:
- Sachverständige kritisieren massiv, dass die aufgezeichneten Einzelbilder („Video“) nicht in bestmöglicher Qualität gespeichert werden, da jedes zweite Halbbild verloren geht. Die fehlenden Informationen werden durch das jeweils andere Halbbild „aufgefüllt“. Die so gewonnenen Einzelbilder verlieren zusätzlich dadurch an Qualität, dass sie beim Speichern im JPEG- bzw. JPEG2000-Format komprimiert werden. Hierdurch wird die Auswertung von Beweisaufnahmen – gerade wenn es darum geht, Abstände und Geschwindigkeiten im Fernbereich zu bewerten – massiv erschwert; es sind Ungenauigkeiten zu Lasten eines Betroffenen möglich. Deshalb muss sichergestellt sein, dass bei der Auswertung die Toleranzen deutlich zu Gunsten des Betroffenen angewendet werden. Teilweise halten Sachverständige dreimal so hohe Toleranzen wie noch bei VKS 3.0 für erforderlich.
- Bevor mit einem VKS 3.0- oder VKS 4.5-Gerät gemessen werden darf, muss die zu messende Straße (einmalig) entsprechend vorbereitet werden. Meist wird diese oder ein bzw. mehrere Fahrstreifen kurzzeitig gesperrt, darauf Abstände vermessen und in definiertem Abstand Markierungen angebracht. Danach wird mittels des an der Brücke montierten Messsgeräts ein sog. Referenzvideo von der Messstelle aufgezeichnet. Der gesamte Vorgang wird in einem Messstellenprotokoll dokumentiert. Einige Polizeidienststellen haben dies mit ihren VKS 4.5-Anlagen aber unterlassen, sondern legen weiterhin die vor Jahren für das VKS 3.0-Gerät erstellte Dokumentation zugrunde. Ob dies zulässig ist, ist technisch und juristisch umstritten. Wir gehen derzeit davon aus, dass eine ordnungsgemäße Messung nur vorliegt, wenn die Messstelle nochmals für das neue VKS 4.5-Gerät eingerichtet und dies auch dokumentiert wird.
- In einem gerichtlichen Verfahren beim Amtsgericht Mannheim hat sich gezeigt, dass der Hersteller des Messgeräts strenge Vorgaben gemacht hat, um elektromagnetische Beeinflussungen (Elektromagnetische Verträglichkeit = EMV) auszuschließen. Nach Angaben von Sachverständigen ist eine solche mögliche Beeinflussung im Nachhinein teilweise nicht auszuschließen.
- Ebenso zeigte sich in einem Verfahren, dass die Aufstellhöhe der Kamera, welche nicht geringer sein darf als bei der Anfertigung des Referenzvideos, häufig nicht im Messprotokoll dokumentiert wird und daher nachträglich schwierig festzustellen ist.