Rheinland-Pfalz: Alle Bußgeldbescheide der Zentralen Bußgeldstelle unwirksam?

Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 19.11.2019 – VGH B 24/19

Gerichte und Verwaltungen gehen mehr und mehr dazu über, ihre Akten nicht mehr in Papierform, sondern elektronisch zu führen – auch die Zentrale Bußgeldstelle des Polizeipräsidiums Rheinpfalz, welche einen Großteil der Verkehrsordnungswidrigkeiten in Rheinland-Pfalz bearbeitet. § 110a Absatz 1 des Ordnungswidrigkeitengesetzes lässt elektronische Akten im Bußgeldverfahren ausdrücklich zu. Allerdings muss der Zeitpunkt, von dem an die Akten elektronisch geführt werden, in einer Rechtsverordnung der Landesregierung festgelegt sein. Dies wird so verstanden, dass vor Erlass einer solchen Verordnung die Akten noch nicht elektronisch geführt werden dürfen. In Rheinland-Pfalz gibt es diese Verordnung bislang nicht, so dass es auch noch keine elektronischen Akten geben dürfte.

Dieses Problem ist auch der Bußgeldstelle bekannt, welche aber meint, dass es sich allenfalls um einen „Formfehler“ handele und es den Betroffenen quasi „egal“ sein könne, wie die Akten geführt werden. Dabei hat das Oberlandesgericht Koblenz auf das Fehlen der Rechtsgrundlage bereits mehrfach hingewiesen und, ebenso wie die Amtsgerichte Daun, Kusel, Pirmasens und Zweibrücken, die Handhabung der Bußgeldstelle ausdrücklich als rechtswidrig bezeichnet. Dennoch bleibt es seit Jahren bei den elektronischen Akten ohne Rechtsgrundlage. Dies liegt womöglich auch daran, dass die Gerichte Auswirkungen des Verstoßes auf die jeweiligen Verfahren und Bußgeldbescheide bislang verneint haben. Im Falle eines Einspruchs wird die elektronische Akte ausgedruckt und in Papierform dem Gericht vorgelegt. Die rechtswidrige Aktenführung war also kein Argument, dass Verfahren eingestellt werden.

Im Bußgeldverfahren gegen einen unserer Mandanten hatten wir beim zuständigen Amtsgericht beantragt, der Bußgeldstelle die Führung der elektronischen Akte zu untersagen, was das Amtsgericht ablehnte. Da hiergegen keine weiteren Rechtsmittel gegeben waren, legten wir für den Mandanten Verfassungsbeschwerde ein, zu der sich in einem aktuellen Beschluss der Verfassungsgerichtshof Koblenz äußerte.

Der Verfassungsgerichtshof hält Auswirkungen der elektronischen Aktenführung auf das eigentliche Bußgeldverfahren überraschenderweise für nicht ausgeschlossen. Bei Verstößen gegen elementare Grundsätze der Rechtsordnung, etwa „in Fällen der Willkür oder bei schwerem, ins Auge springenden, prozessualen Unrecht“ sei in Betracht zu ziehen, dass ein so erlassener Bußgeldbescheid nichtig und unwirksam ist. Bei der – von uns gerügten – Aktenführung ohne die notwendige Rechtsgrundlage über mehrere Jahre und trotz obergerichtlichen Hinweisen auf die fehlende Rechtsgrundlage sei ein Verstoß gegen das Willkürverbot denkbar, so dass „Fragen der Wirksamkeit des Bußgeldbescheides“ betroffen seien. Im Detail müsse dies von den Gerichten überprüft werden, die über den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zu entscheiden haben, so dass der Verfassungsgerichtshof die Frage offengelassen hat. Denn erst nach Abschluss des Bußgeldverfahrens könne eine Verfassungsbeschwerde erhoben werden.

Das bedeutet, dass nun die Amts- und Oberlandesgerichte in Rheinland-Pfalz „am Zug“ sind. Sie müssen entscheiden, ob ein Verstoß der Bußgeldstelle vorliegt und ob er schwer genug ist, um Bußgeldbescheide selbst unwirksam werden zu lassen.

Es spricht viel dafür, einen Verstoß gegen das Willkürverbot anzunehmen, wenn man bedenkt, dass die Rechtslage seit Jahren bekannt ist, mehrfach von Gerichten auf diese hingewiesen und die Mängel dennoch nicht abgestellt wurden, da sie bislang keine Auswirkungen hatten. In diesem Fall wären voraussichtlich sämtliche Bußgeldbescheide der Zentralen Bußgeldstelle betroffen, da nach unserem Kenntnisstand dort keine Verfahren mehr mit Papierakten geführt werden.

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