Viele Gemeinden oder Bußgeldstellen in Deutschland führen Geschwindigkeitsüberwachungen nicht mehr allein selbst durch, sondern greifen auf Privatunternehmen zurück. Diese führen entweder die Messungen selbst mit eigenen Blitzgeräten und/oder eigenem Personal durch oder werten die Fotos durch eigene Mitarbeiter aus. Häufig sprechen die Unternehmen von „Rundum-Sorglos-Paketen“, die sie den Kommunen anbieten. Die Behörden sparen hierdurch Kosten ein, während die Unternehmen an den Einnahmen durch Buß- und Verwarngelder „mitverdienen“.
Allerdings sind solche Zusammenarbeiten rechtsstaatlich kritisch zu sehen. Verkehrsüberwachung findet grundsätzlich aus Gründen der Verkehrssicherheit statt und ist eine staatliche Aufgabe, die die Behörden selbst wahrzunehmen haben. Beauftragungen von Privaten sind hier nur ausnahmsweise und in engen Grenzen zulässig. Man sagt auch, jede Behörde muss „Herrin“ ihrer Verfahren sein. Auf Grund dieser strengen Regeln entsprechend viele Zusammenarbeiten zwischen einer Behörde und einer Privatfirma nicht dem geltenden Recht. Dies kann zur Folge haben, dass die Messfotos unverwertbar sind und deshalb geblitzte Autofahrer freigesprochen werden müssen.
Zur Zeit bearbeiten wir den Fall eines Mandanten, gegen den das Landratsamt Rastatt einen Bußgeldbescheid erlassen hat. Darin heißt es:
Ihnen wird zur Last gelegt, am … um … Uhr in 76476 Bischweier, B462 i. H. KM 0.6 als Führer des PKW … folgende Ordnungswidrigkeit begangen zu haben:
Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 23 km/h.
Zulässige Geschwindigkeit: 120 km/h.
Festgestellte Geschwindigkeit (nach Toleranzabzug): 143 km/h.§ 41 Abs. 1 iVm Anlage 2, § 49 StVO; § 24 StVG; 11.3.4 BKat
Beweismittel: Messung mit Lasergerät und Foto, Geschwindigkeitsmessung mit PoliScanSpeed
Zeuge: Herr …, LRA RA, 76437 Rastatt, Zentrale Bußgeldstelle Am Schlossplatz 5
Nachdem wir die Verfahrensakte erhalten hatten, zeigte sich, dass auch das Landratsamt Rastatt bestimmte Aufgaben im Bußgeldverfahren an eine Privatfirma ausgelagert hat. So wird die Messanlage vom Typ PoliScan Speed von dem Unternehmen Radarrent GmbH betrieben, welche auf ihrer Homepage damit wirbt, bei der Auswertung von Verstößen „behilflich“ zu sein. Außerdem sollen in zehn Minuten 100 Blitzerfotos ausgewertet werden können – für die Prüfung eines Messfotos bleiben also nur sechs Sekunden, was für eine weniger sorgfältige Vorgehensweise spricht. In unserem Fall wusste das Landratsamt nicht einmal, ob an der Messanlage irgendwelche Defekte aufgetreten sind oder Reparaturen vorgenommen werden mussten – Unterlagen hierzu hatte nur die Privatfirma.
Der Fall wird derzeit vom Amtsgericht Rastatt geprüft. Dieses hat zunächst entschieden, dass das Landratsamt unserer Kanzlei sämtliche „Verträge und sonstige Unterlagen zur Zusammenarbeit des Landratsamtes Rastatt mit Privatdienstleistern bei der Verkehrsüberwachung (Erfassung, Auswertung, Aufbereitung etc. von Geschwindigkeitsverstößen)“ vorlegen muss. Anhand dieser Unterlagen können die genauen Einzelheiten der Zusammenarbeit festgestellt werden, so dass ihre Rechtmäßigkeit besser beurteilt werden kann. Die Behörde wollte bislang vermeiden, die Unterlagen vorlegen zu müssen; vermutlich auch, weil dies Auswirkungen auf alle anderen Verfahren des Landratsamts haben könnte. Sobald die Unterlagen hier vorliegen, wird über die weitere Verfahrensweise entschieden. Ein Verhandlungstermin steht noch nicht fest.
Wichtig: Ob in einem Bußgeldverfahren eine solche Zusammenarbeit besteht, kann in der Regel nur nach Akteneinsicht durch einen Rechtsanwalt beurteilt werden. Gerade bei Verfahren, die von Gemeinden oder Landkreisen ausgehen, lohnt es sich in den schwerwiegenderen Fällen mit Punkten (ab 60 Euro) oder gar Fahrverbot, genau hinzusehen und den Vorwurf prüfen zu lassen.
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