Amtsgericht Saarbrücken, Urteil vom 02.11.2016 – 22 OWi 610/15
Dem Mandanten wurde vorgeworfen, auf der A 620 bei Saarbrücken (Höhe Gersweiler Brücke) die von einer Wechselverkehrszeichenanlage (siehe Bild) angezeigte zulässige Geschwindigkeit von 80 km/h um 41 km/h überschritten zu haben sowie in Saarbrücken (Hubert-Müller-Straße/von der Heydt-Straße) das länger als eine Sekunde dauernde Rotlicht überfahren zu haben. In zwei Bußgeldbescheiden waren insgesamt Geldbußen von 360 EUR sowie zwei Fahrverbote von jeweils einem Monat vorgesehen. Der Mandant ist selbständig und darauf angewiesen, mit dem Pkw zu seinen Kunden fahren zu können. Aus den Verfahrensakten ergab sich zunächst nichts, was die Vorwürfe hätte entkräften können.
Daher wurde die Herausgabe weiterer Unterlagen beantragt, die in den Akte normalerweise nicht enthalten sind: zum einen ein Protokoll der Wechselverkehrszeichenanlage, aus dem sich ergibt, zu welcher Zeit welche Geschwindigkeit angezeigt wurde, zum anderen alle von dem verwendeten Geschwindigkeitsmessgerät ESO ES 3.0 angelegten digitalen Falldatensätze dieses Tages.
Aus dem WVZ-Protokoll ergab sich, dass am Tag der Geschwindigkeitsmessung für mehrere Stunden keine Geschwindigkeitsbegrenzung angezeigt war. Zudem war eine Störung der Anlage im Protokoll vermerkt. In diesem Zeitraum wurde auch der Mandant gemessen. Die Anzeige hatte sich offenbar kurz nach der Kontrolle durch die Messbeamten abgeschaltet und vor dem Ende der Messung einige Stunden später wieder eingeschaltet, so dass die Beamten beim Kontrollieren der Anzeige zu Beginn und am Ende der Messung keine Auffälligkeiten feststellen konnten.
Mit der Auswertung der digitalen Datensätze des Geschwindigkeitsmessgeräts wurde die Gesellschaft für Unfall- und Schadenforschung (GFU) beauftragt. Deren Begutachtung ergab, dass ausweislich des Datensatzes des Mandanten bereits dessen vorgeworfene Geschwindigkeit um 1 km/h zu hoch war. Unabhängig davon hatte das Messgerät laut Statistikdatei an diesem Tag 560 Geschwindigkeitsverstöße registriert, jedoch nur 323 Datensätze mit Foto gespeichert, so dass knapp die Hälfte der Messungen durch das Messgerät annulliert (gelöscht) wurde, ohne dass dafür eine Erklärung (fehlerhafter Aufbau, Defekt) ersichtlich war. Weiterhin stimmte die Anzahl der laut Messgerät registrierten Fahrzeuge nicht mit der im Messprotokoll festgehaltenen Fahrzeugzahl überein. Im Protokoll der Hauptverhandlung führte das Gericht aus:
Das Gericht weist darauf hin, dass hinsichtlich der verbundenen Sache im Hinblick auf das vorgelegte Privatgutachten und im Hinblick auf das Schaltungsprotokoll Blatt 30 der verbundenen Akte weitere Ermittlungen erforderlich wären, da hinsichtlich des LBA-Schaltungsprotokolls auch durch Einvernehmung durch den Zeugen POK … keine hinreichende Aufklärung erzielt werden konnte, welche Geschwindigkeitsbegrenzung zum Tatzeitpunkt laut Protokoll geschaltet war. Hinsichtlich der Aussage des Zeugen PK …, er habe überprüft, dass Tempo 80 zu Messbeginn und Messende geschaltet gewesen sei, besteht diesbezüglich im Hinblick auf das Protokoll weiterer Aufklärungsbedarf. Das Gericht regt daher an, dass Verfahren hinsichtlich des verbundenen Verfahrens 22 OWi …/15 nach § 47 OWiG einzustellen und gewährt hierzu rechtliches Gehör.
Das Amtsgericht Saarbrücken stellte schließlich dieses Verfahren ein. Da sich auch bei dem Rotlichtverstoß kleinere Unregelmäßigkeiten zeigten, erklärte sich das Gericht bereit, gegen Verdreifachung der ursprünglichen Geldbuße von 200 EUR das Fahrverbot entfallen zu lassen. Dieses Urteil ist rechtskräftig.
Fazit: Nach Erhalt eines Anhörungsbogens oder Bußgeldbescheids wegen eines Verkehrsverstoßes lohnen sich der Gang zum Anwalt und eine Überprüfung der Messung häufig auch dann, wenn auf den ersten Blick die Erfolgsaussichten eines Einspruchs gering erscheinen.
Man sieht, wie wichtig auch hier mal wieder die Akteneinsicht ist. Erst hierdurch konnten einige Unregelmäßigkeiten aufgedeckt werden. Einen Blick werfen sollte man auch stets ins Protokoll der Wechselverkehrszeichenanlage, aus dem sich ergibt, zu welcher Zeit welche Geschwindigkeit angezeigt wurde. Der Betroffene muss halt doch das Geld in die Hand nehmen, den Rechtsanwalt zu beauftragen, am besten, er hat eine Rechtsschutz, Gerald Assner München.